Die meisten Menschen lehnen Gendersprache ab: weil sie nicht nur unästhetisch, sondern auch schlechter verständlich ist. Trotzdem greift sie nun auch in öffentlichen Behörden um sich. Dabei sollte sich gerade der Staat vor ideologischen Umerziehungsprojekten hüten.

Berlin, im Jahr 1811: In einem Hörsaal an der Universität drängen sich interessierte Zuhörer, um die Antrittsvorlesung des Philosophen Johann Gottlieb Fichte zu hören. Bereits bei der Ansprache Fichtes, des ersten Rektors der Humboldt-Universität und eines der Vordenker des deutschen Idealismus, dürften die Anwesenden überrascht gewesen sein, denn er sprach die Zuhörer ganz bewusst mit dem substantivierten Partizip I als „Studierende“ an. Fichte wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Studenten mehr lernen, sich bilden und sich auf ihr Studium konzentrieren sollten. Aus „Studenten“ sollten häufiger auch tatsächlich „Studierende“ werden.

Berlin, mehr als 200 Jahre später: Ein scheinliberales Milieu macht aus allen „Studenten“ wie selbstverständlich „Studierende“ und möchte überall einen „gendergerechten“ Schreib- und Redestil durchsetzen.

Anders als Fichte geht es diesen Befürwortern der Gender-Sprache dabei nicht darum, mit einer bewussten Verwendung der deutschen Grammatik das Leistungsprinzip in der Gesellschaft zu stärken oder einen Umstand grammatisch genau zum Ausdruck zu bringen, sondern um Umerziehung und letztlich die Zerstörung unserer deutschen Sprachkultur. Die Befürworter der Gender-Sprache, allen voran die Grünen, setzen bei immer mehr Wörtern auf Gendersternchen, Doppelpunkte, Unterstriche mitten im Wort und vieles mehr. Aus „Fußgängern“ sollen „Zu-Fuß-Gehende“ werden, aus „Radfahrern“ werden „Radfahrende“. Dies treibt so seltsame Blüten wie „verunfallte Autofahrende“ – ein Widerspruch in sich. Anstatt von „Ärzten“ oder „Ärztinnen und Ärzten“ ist wahlweise von „Ärzt*innen“, „Ärzt_innen“ oder „Ärzt:innen“ zu lesen – Formen, die nicht von der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung gedeckt sind. In diesem Milieu entstehen e wie „Passivraucher*innenschutzverordnung“ – ein Fundstück aus dem Koalitionsvertrag von SPD und Grünen in Hamburg. Es gibt mittlerweile selbst Diskussionen darüber, ob man statt „Mutter“ nicht besser „gebärendes Elternteil“ sagen sollte. Vereine wie die „Neuen deutschen Medienmacher*innen“ wollen darüber hinaus Wörter wie „Migrant“ oder „Einheimische“ in der Berichterstattung abschaffen.

Die Grammatik der deutschen Sprache erlaubt uns, wie es sonst nur in wenigen Sprachen der Fall ist, Nuancen und Feinheiten genau auszudrücken. Wenn aber unzählige Substantive durch das Gendern mit substantivierten Partizipien ersetzt werden, werden Unterschiede wie der zwischen einem Kochenden und einem Koch verwischt, was der Genauigkeit der deutschen Sprache abträglich ist – von ästhetischen Gesichtspunkten mal ganz abgesehen. Aber es geht nicht nur um die richtige Anwendung der deutschen Grammatik. Hinter der Gender-Sprache verbirgt sich ein Weltbild, das Menschen in bestimmte Kategorien – wie das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung – einsortiert. Allgemeine Formulierungen sollen nicht mehr ausreichen, möglichst jede einzelne geschlechtliche Identität muss sichtbar gemacht werden, da die jeweilige Gruppe sich sonst angeblich nicht angesprochen fühlt. Weder das Gemeinsame in der Gesellschaft noch das einzelne Individuum stehen bei diesem Ansatz im Mittelpunkt, sondern es geht nur noch um äußere Merkmale und Gruppenidentität. Anderen Unterstützern der Gender-Sprache geht es sogar darum, mit der Verwendung des Gendersternchens die biologische Tatsache des Geschlechts komplett zu „überwinden“.

Angst bei Andersdenkenden

Über einzelne Wortungetüme könnte man ja schmunzeln, wenn diese Gender-Sprache nicht immer weiter in Behörden, Universitäten, Schulen oder anderen staatlichen Einrichtungen um sich greifen und zu Angst bei Andersdenkenden führen würde. Studenten schreiben aus Furcht vor schlechten Noten widerstrebend in der Gender-Sprache; Forscher, die etwa Anträge bei der DFG stellen, fürchten Schwierigkeiten, wenn die Gendersternchen fehlen oder wenn sie nicht alle Texte durchgendern. Sie müssen sich einem immer stärkeren Konformitätsdruck beugen und viel Zeit investieren, damit auch wirklich jeder Satz gendergerecht formuliert ist. In anderen Bereichen entsteht ebenfalls zunehmend der Eindruck, dass es häufig eher auf das richtige Gendern als auf den Inhalt ankommt. Teilnehmer von Podiumsdiskussionen werden von Gender-Befürwortern verächtlich gemacht, wenn sie sich nicht in einer vermeintlich politisch korrekten Sprache ausdrücken. Dazu gehört neuerdings auch der „Gender-Hicks“, eine Pause, die man beim Sprechen innerhalb eines Wortes machen soll. Aus „Lehrern“ wird dann „Lehrer – Genderhicks – innen“.

Alarmglocken in der bürgerlichen Mitte

Privat sollte jeder so sprechen und schreiben können, wie er möchte. Wir leben in einem freien Land. Wenn aber eine Sprach-Polizei entsteht, die in staatlichen Einrichtungen ohne jegliche Grundlage und Legitimation anderen ihren häufig orthografisch und grammatisch fehlerhaften Stil aufzwingen möchte, sollten in der bürgerlichen Mitte alle Alarmglocken schrillen. Wie soll denn die sprachliche Integration einer Syrerin oder eines Iraners klappen, wenn in offiziellen Behördendokumenten nicht mehr die deutsche Grammatik verwendet wird? Wie sollen Politiker und Beamte Menschen zur Einhaltung von Regeln verpflichten, wenn geltende Normen ohne rechtliche Grundlage willkürlich nicht eingehalten werden? Wie soll ein Politiker hart arbeitende Menschen in Deutschland erreichen, wenn diese seine gekünstelte Sprache nicht verstehen?

Sprache sollte einen und zusammenführen, sie darf nicht ausschließen. An den Abendbrottischen in Deutschland, bei den Stammtischen der freiwilligen Feuerwehren oder beim Bier im Sportverein spricht kaum jemand mit Gender-Hicks. Repräsentative Umfragen von Meinungsinstituten zeigen, dass eine Mehrheit in Deutschland die Gender-Sprache ablehnt und sie sich schon gar nicht aufzwingen lassen möchte.

Als evangelischer Christ halte ich es hier mit Martin Luther. Luther war es wichtig, dass Sprache nicht nur für einen kleinen Kreis verständlich ist. So schreibt er im „Sendbrief zum Dolmetschen“: „… man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und ihnen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach übersetzen, dann verstehen sie es auch und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“

Die Gender-Sprache steht all dem entgegen. Sie ist nicht inklusiv und integrierend, sie ist exklusiv und grenzt aus. Im benachbarten Ausland hat man bereits erkannt, welches spalterische Potenzial in der Gender-Sprache liegt und dass es der Bildung jüngerer Menschen schadet. Aus Frankreichs Schulen oder aus Gesetzesblättern soll die Gender-Schreibweise daher verbannt werden. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung sollten genauso wie alle staatlichen Einrichtungen beispielhaft vorangehen und keine grammatisch falsche Gender-Sprache in ihren Dokumenten verwenden.

Abgeordnete haben Vorbildfunktion

Die Bundestagsabgeordneten und Ministerien haben hier eine wichtige Vorbildfunktion, die in das ganze Land ausstrahlt. Dies gesetzlich festzuschreiben, ist notwendiger denn je. Den Zusammenhalt in unserem Land stärken wir nicht, indem die Menschen immer häufiger in Gruppen einsortiert werden, sondern indem wir Empathie zeigen und uns in andere Menschen hineinversetzen.

Die bürgerliche Mitte muss auch in Deutschland endlich aufwachen und einer spalterischen linken Identitätspolitik entschlossen entgegentreten.

Der Gastbeitrag erschien am 14. Mai 2021 in der Tageszeitung „Die Welt“.