Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde am 15. November ein Bundeshaushalt vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt, weil er gegen das Grundgesetz verstoßen hat. Die Ampelkoalition hatte versucht, die teils großen inhaltlichen Gräben zwischen den Koalitionären mit verfassungswidrigen Haushaltstricks zu füllen, statt ihre Vorhaben solide zu finanzieren. Das wird nun zu Recht nicht mehr gehen. Reflexartig reagierten insbesondere Politiker von SPD und der grünen Partei auf das Urteil des höchsten deutschen Gerichts. Die Forderung, endlich einmal den Bundeshaushalt nach Einsparungsmöglichkeiten zu durchforsten, lehnten die rot-grünen Ampelpolitiker ab. Stattdessen gab Wirtschaftsminister Robert Habeck zu Protokoll, erste Vorschläge aus dem Finanzministerium zum Subventionsabbau seien wirklichkeitsfremdes „Gerede“ – so, als hätte es das Urteil nicht gegeben. Auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken äußerte nicht etwa Selbstkritik angesichts des verfassungswidrigen Haushalts. Vielmehr initiierte sie wieder einmal eine Debatte über das Aufweichen oder gar das Ende der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse; von Demut oder gar Einsicht, dass die Ampelkoalition ihre eigene Politik von Beginn an falsch aufgegleist hat, keine Spur.

Hochproblematisches Politikverständnis

Besonders die sozialdemokratische und die grüne Partei offenbaren damit auch ein Politikverständnis, das gerade in Zeiten von Inflation und Rezession hochproblematisch ist. Statt die richtigen verfassungsrechtlichen Grenzen staatlicher Möglichkeiten anzuerkennen und das Urteil dankbar aufzunehmen, um auch gegenüber der eigenen Klientel notwendige Abstriche zu begründen, suchen sie sofort nach neuen Einnahme- und Schuldenquellen, um ihre parteipolitischen Ziele weiter verfolgen zu können. Nicht die Verantwortung gegenüber Staatshaushalt und Steuerzahlern steht im Vordergrund, sondern die Parteiprogramme. Diese Reaktionen sind fast noch schlimmer als der verfassungswidrige Haushalt selbst. Denn das Verfassungsgericht hat der Ampelkoalition eine klare Botschaft mitgegeben: So kann es nicht weitergehen!

Die richtige Antwort der Ampel-Regierung auf die schallende Ohrfeige aus Karlsruhe wäre eine Rückbesinnung auf die Kernaufgabe von Politik: Prioritäten zu setzen und eine echte Aufgabenkritik des Staates vorzunehmen. Dies ist übrigens auch der Zweck der von rot-grünen Politikern infrage gestellten Schuldenbremse. Sie soll zum einen garantieren, dass auch an die nächsten Generationen gedacht wird und nicht einfach immer neue Schulden angehäuft werden; zum anderen soll die Schuldenbremse die Politik dazu zwingen, Schwerpunkte im Haushalt zu setzen, eine Agenda zu entwickeln und Prioritäten zu setzen. Natürlich ist Letzteres anstrengender, als einfach immer mehr Schulden zu machen und Schattenhaushalte zu schaffen, aber es ist gerade in der aktuellen Lage unseres Landes dringend notwendig. Daher sagen wir als CDU klar und deutlich: Die in unserer Verfassung verankerte Schuldenbremse muss bleiben!

Bürgergeld bestraft Leistungsbereitschaft

Anders als es linke Politiker uns gerne glauben machen wollen, bedeutet das Ende von überbordender Verschuldung aber gerade nicht das Ende von politischer Gestaltung oder von sinnvollen Ausgaben. Die deutsche Politik insgesamt sollte das Urteil in Karlsruhe vielmehr zum Anlass nehmen, endlich klare Prioritäten zu setzen und über strukturelle Reformen unseres Sozialstaats und der deutschen Sicherungssysteme nachzudenken. Denn unter der Ampelkoalition wurde ein Problem in einem nie dagewesenen Ausmaß verschärft: Derzeit gehen etliche Steuer-Milliarden in Deutschland an Menschen, die gar keine zusätzlichen Sozialleistungen benötigen. Fördern und fordern? Fehlanzeige! Das sogenannte „Bürgergeld“ ist eines der eklatanten Beispiele für eine Politik, die Leistungsbereitschaft bestraft. Nicht wenige Menschen rechnen seit seiner Einführung durch, ob es sich überhaupt noch für sie lohnt, arbeiten zu gehen. Aufgrund der Sozialpolitik der Bundesregierung haben inzwischen gerade viele derer, die unser Land am Laufen halten, früh aufstehen, zur Arbeit gehen und häufig auch noch nebenbei Ehrenämter ausüben, den Eindruck, die Dummen und die Melkkühe der Nation zu sein. Ein Staat, der so mit den hart erarbeiteten Steuergeldern umgeht, wird vor allem die Leistungsträger und die hart arbeitende Mitte in Deutschland verlieren.

Zukunft des Sozialstaates kann nur durch sparen garantiert werden

Aber auch aus anderen Gründen braucht es strukturelle Reformen. Denn die Zukunftsfähigkeit unseres Landes hängt nicht zuletzt von einem funktionierenden, zielgerichteten Sozialstaat und einem generationengerechten Rentensystem ab. Bei geringer werdenden Spielräumen im Bundeshaushalt, die das Karlsruher Urteil zwangsläufig mit sich bringt, darf die Bundesregierung nicht immer neue Sozialleistungen verteilen.

Schauen wir auf die Rente: Knapp ein Drittel der Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung kommt inzwischen aus dem Steueraufkommen. Das als Generationenvertrag gedachte Rentensystem finanziert sich schon lange nicht mehr selbst. Der neue Haushalt der Ampelkoalition sieht Zuschüsse in Höhe von etwa 120 Milliarden Euro vor. Das ist ungefähr jeder vierte Euro, den der Bund insgesamt ausgibt! 1960 kamen etwa sechs Beitragszahler für einen Rentner auf. Heute finanzieren zwei Beitragszahler einen Rentner. Mittelfristig wird jeder Arbeitnehmer wohl für einen Rentner bezahlen müssen. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.

Wenn nicht immer mehr Milliarden ins Rentensystem gepumpt werden sollen, brauchen wir daher strukturelle Reformen. Dazu sollte etwa die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Andere europäische Länder wie Norwegen, Dänemark und die Niederlande gehen diesen naheliegenden Weg schon seit Längerem.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ein Dachdecker soll natürlich mit 70 nicht mehr bei Wind und Wetter auf dem Dach stehen müssen. Viele Akademiker oder Büroangestellte hingegen werden etwas länger arbeiten können, um das Rentensystem langfristig zu sichern. Aber genauso wichtig ist, dass Altersarmut zielgenauer bekämpft wird und der Sozialstaat dauerhaft leistungsfähig bleibt. Der Staat muss diejenigen unterstützen, die wirklich Bedarf haben und es aus eigener Kraft nicht schaffen können.

Wer an Infrastruktur spart, legt die Axt an das Fundament unseres Landes

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, den die Bundesregierung nach dem Karlsruher Urteil nicht mehr ausblenden kann: Je mehr Steuergeld mit der Gießkanne ausgeschüttet wird, desto weniger bleibt im Bundeshaushalt für Bildung, Infrastruktur und Sicherheit – also genau die Bereiche, die unser ressourcenarmes Hochlohnland langfristig wettbewerbsfähig machen. Geplante Mittel für den Aufbau von KI-Systemen würden ohne Reformen des Sozialstaats gestrichen; der Aufbau etwa einer klimafreundlichen E-Fuels- oder Wasserstoffproduktion müsste ausfallen; bei der Instandhaltung von Straßen, Schienen und Stromnetzen müsste gespart werden. Wer aber an der Infrastruktur spart, legt die Axt an das Fundament unseres Landes. Auch unser Steuersystem ist reformbedürftig und gefährdet inzwischen unseren Wohlstand und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit. Denn derzeit sind wir im internationalen Vergleich vor allem bei der Höhe der Steuersätze und der Abgabenquote Spitzenreiter. Das aber schreckt Investoren und Fachkräfte ab, die wir dringend brauchen. Die letzte Unternehmenssteuerreform ist bald über 15 Jahre her, eine – übrigens überaus erfolgreiche – Entlastung bei der Einkommensteuer gab es zuletzt vor über 20 Jahren. Solche Reformen und Investitionen wären die Grundlage dafür, dass Deutschland wieder international wettbewerbsfähiger wird und qualifizierte Fachkräfte zu uns kommen. Nur so können wir den wirtschaftlichen Abstieg unseres Landes stoppen.

Wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mehr sein soll als eine Niederlage der Ampelkoalition, muss die Bundesregierung den Irrweg von immer mehr unreflektierten Staatsausgaben beenden und Strukturen schaffen, die über Generationen tragen und unser Land wieder stark machen.

Der Gastbeitrag erschien am 24. November 2023 im „Cicero“.