Deutschlands Strombedarf wird dramatisch wachsen, hinzu kommt der Klimaschutz. Wir müssen sechs Atomkraftwerke weiterlaufen lassen.

Spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und den damit verbundenen Verwerfungen auf den Energiemärkten ist klar, dass der deutsche Ausstieg aus der Kernkraft falsch war.

Auch im Sinne des Klimaschutzes hätte Deutschland nicht erst aus der Kernkraft und dann aus der Kohle aussteigen dürfen.

Doch das Problem geht tiefer – und ist unabhängig vom russischen Angriffskrieg und den seitdem stark gestiegenen Gas- und Strompreisen.

Während die meisten europäischen Nachbarn auf CO2-freie Kernkraft setzen und die EU dieser Technologie sogar offiziell das Label „klimafreundlich“ attestiert, wird hierzulande meist nur darum gestritten, auf welche Technologien man in Zukunft auf keinen Fall setzen sollte. Aber: Um die Klimaschutzziele zu erreichen, werden wir vor allem in der Mobilität, in der Industrie und beim Heizen unserer Gebäude von Öl oder Gas auf Strom umstellen müssen!

Allein in der Chemieindustrie wird sich der Strombedarf laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) bis Mitte der 2030er Jahre verzehnfachen.

Nur unsere Chemieindustrie wird dann mehr Strom benötigen, als heute in ganz Deutschland verbraucht wird. Die virtuelle Währung Bitcoin benötigt Großrechner, die bereits heute mehr Strom verbrauchen als die Niederlande insgesamt – Tendenz steigend.

Filme auf dem iPad, lustige Videos auf dem Smartphone und deren Verbreitung via WhatsApp: Derartige Selbstverständlichkeiten sind in der Summe mittlerweile CO2-schädlicher als das Fliegen.

Wo sollen die enormen Mengen an sauberem Strom herkommen, die wir künftig zusätzlich benötigen?

Dies ist die zentrale Frage der deutschen Klima- und Energiepolitik, die allzu oft ausgeblendet wird.

Mit Blick auf die Pariser Weltklimaschutzziele müssen wir den zusätzlich benötigten Strom erzeugen, ohne dabei viel CO2 auszustoßen. Wir brauchen daher nicht nur eine Debatte darüber, ob die Laufzeiten der Kernkraftwerke, die sich derzeit noch im Betrieb befinden, auch über den April 2023 hinaus verlängert werden.

Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und sollte angesichts der derzeitigen Situation eigentlich selbstverständlich sein. Wir müssen vielmehr auch dafür sorgen, die immer größer werdende Stromlücke zu verkleinern.

Dafür müssen wir in neue Erzeugungstechnologien einsteigen, statt überall nur auszusteigen. Allein mit Flüssiggas aus dem Nahen Osten oder den USA ist es dabei nicht getan.

Schauen wir uns in Europa um.

Kein Land steigt aus der Kernkraft und der Kohle gleichzeitig aus.

Kein Land um uns herum vergisst, dass in einer funktionierenden Volkswirtschaft bezahlbarer Strom und die Grundversorgung mit Energie zu den wesentlichen Eckpfeilern gehören.

Daher setzen alle anderen Länder in unserer Nachbarschaft neben den erneuerbaren Energien auf weitere grundlastfähige Alternativen.

Polen, das bis 2049 aus der Kohle aussteigen will, wird neue Kernkraftwerke bauen. Auch die Skandinavier setzen auf Kernenergie. Dort werben übrigens vor allem die Klimaschutzbewegungen für Kernenergie, da man mit Kernkraftwerken CO2-neutralen Strom sonnen- und windunabhängig erzeugen kann.

Wenn wir die sechs in Deutschland noch funktionsfähigen und mit Betriebsgenehmigung versehenen Kernkraftwerke weiterlaufen lassen würden, statt sie abzuschalten, würden 36 bis 40 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart. Wer das nicht unterstützt, meint es mit dem Klimaschutz nicht ernst.

In Deutschland wird anders diskutiert. Selbst nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stellte Wirtschaftsminister Robert Habeck erst einmal klar, auf welche Energieerzeugung Deutschland trotz allem nicht setzen wird.

Die Folge dieser „Aussteigeritis“ bei gleichzeitigem Verzicht auf jeden Einstieg in zeitnah verfügbare Alternativen: Pro Kilowattstunde Strom zahlen unsere europäischen Nachbarn viel weniger als wir Deutschen. Für eine vierköpfige deutsche Familie bedeutet dies bereits Mehrausgaben von mehreren Hundert Euro im Jahr.

Auch die Folgen für langfristige Investitionen in energieintensive Industrien und die damit verbundenen Arbeitsplätze sind erheblich. Wenn die deutsche Politik nicht endlich gegensteuert, werden immer mehr Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, die dann für Jahrzehnte verloren sind.

Da Erdgas auch in Zukunft knapp sein wird, ist klar: Nur mit Kernkraft oder Kohle als Ergänzung zu den erneuerbaren Energien wird Deutschland mit einigermaßen bezahlbarer grundlastfähiger Energie versorgt werden können.

Es ist allerdings schon jetzt nicht weniger als ein klimapolitischer Sündenfall, dass ausgerechnet die Grünen gerade wieder die Kohlekraftwerke reaktivieren.

Kohle kann auf Dauer keine ernsthafte Alternative sein, wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen.

Es bleibt also nur die Kernkraft. Wenn wir sichere und bezahlbare Energie im Winter möchten und wenn wir dabei auch die Klimaschutzziele erreichen wollen, brauchen wir in den nächsten Jahren neben den erneuerbaren Energien nicht weniger, sondern mehr Kernenergie.

Der Gastkommentar erschien am 07. Dezember 2022 im „ThePioneer“.