November 2020: Die zweite Corona-Welle erfasst Deutschland, die Infektionszahlen steigen. Seitdem verharren wir im Lockdown, der aufgrund der Mutationen des Virus im Kern leider nach wie vor notwendig ist – abgesehen von unsinnigen Maßnahmen wie einer vom rot-grünen Senat angeordneten Maskenpflicht für Jogger an der Außenalster oder Elbe. Das liegt auch daran, dass sich kaum jemand in Deutschland an ein Tabu herantraut: die Datenschutzregeln.

Datenschutz ist in der Corona-Krise zum Hemmschuh geworden

Während asiatische Staaten wie Japan, Taiwan oder Südkorea auf künstliche Intelligenz (KI) sowie Tracing-Apps setzen und Echtzeitdaten miteinander verbinden, um Infektionsketten möglichst früh zu unterbrechen, ist so etwas in Deutschland aufgrund von datenschutzrechtlichen Vorgaben und Bedenkenträgern vor allem im grünen politischen Spektrum derzeit nicht umsetzbar. Dabei könnte man auch in Deutschland Daten sicher teilen und weitaus mehr technische Möglichkeiten nutzen, um das Coronavirus zu bekämpfen. Corona-Warn-Apps könnten Infektionsausbrüche automatisch an die Gesundheitsämter übermitteln. Die Daten könnten in den Gesundheitsämtern umgehend digital verarbeitet und genutzt werden, um gegen eine Verbreitung des Coronavirus vorzugehen. Solche Erkenntnisse würden viele weitere Infektionen verhindern und dafür sorgen, dass Leben gerettet werden, die Schulen schneller wieder öffnen oder dass wir unsere Grund- und Freiheitsrechte wiedererlangen. Die Corona-Krise zeigt dabei wie unter einem Brennglas, dass die aktuellen Datenschutzregeln insbesondere im Gesundheitswesen zum Hemmschuh geworden sind.

Mit Daten, die zum Wohle der Gesellschaft anonym geteilt werden, könnte man neue Medikamente gegen tödliche Krankheiten erforschen.

Ein weiteres Beispiel: Seit dem 1. Januar 2021 können alle gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) bei ihrer Krankenkasse nutzen, in der medizinische Befunde und Informationen aus vorhergehenden Untersuchungen und Behandlungen über Praxis- und Krankenhausgrenzen hinweg gespeichert werden können. So weit, so gut. Doch u. a. aufgrund von datenschutzrechtlichen Vorgaben verbreitet sich die ePA derzeit kaum, da Patienten viele Freigaben erteilen und sich durch einen dichten Bürokratie-Dschungel quälen müssen. All das ist so kompliziert, dass nur sehr wenige Menschen die ePA nutzen. Daher werbe ich dafür, dass alle Krankenversicherten automatisch eine ePA bekommen und proaktiv widersprechen müssen, wenn sie weiterhin eine Papier-Dokumentation im eigenen Aktenordner bevorzugen („Opt-out“ statt „Opt-in“).

Mehr Datenschutz-Pragmatismus ist vor allem im Sinne der Patienten

Das ist deswegen so wichtig, da viele Menschenleben gerettet werden können, wenn Informationen wie Vorerkrankungen oder Allergien im Notfall den Ärzten digital zur Verfügung stehen. Ähnlich sieht es bei Innovationen durch medizinische Forschung aus. Mit Daten, die zum Wohle der Gesellschaft anonym geteilt werden, könnte man neue Medikamente gegen tödliche Krankheiten erforschen. Mehr Datenschutz-Pragmatismus ist vor allem im Sinne der Patienten. Wenn die deutsche Gesundheitsversorgung noch mehr Patienten helfen und Krankheiten besiegen möchte, müssen wir das Potenzial der Digitalisierung insgesamt besser nutzen. Um etwa leukämiekranken Patienten zu helfen, arbeiten Ärzte zunehmend mit KI-basierten Unterstützungssystemen. So entstehen immer individuellere, maßgeschneiderte Behandlungsempfehlungen für die Patienten.

Datenschutz darf nicht über allem stehen

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Therapie anschlägt und der Krebs besiegt wird, erhöht sich. Leider verhindern Datenschutzregeln häufig, dass solch innovative Lösungen genutzt, Diagnosen rechtzeitig gestellt und alle möglichen Behandlungsmethoden ausgeschöpft werden können. In anderen Bereichen ist die Gesellschaft beim Datenschutz schon viel weiter. So nutzen viele von uns Verkehrsdaten, um Staus zu umgehen und den schnellsten, effizientesten Weg einzuschlagen. Wenn Bürger oder Behörden dagegen Informationen verwenden möchten, um den Ausbruch von Corona-Infektionen nachzuvollziehen oder neue Ansteckungen zu vermeiden, scheitern sie fast immer am Datenschutz.

Die Datenschutzregelung und die gesamten Digitalisierungsprozesse im Gesundheitswesen müssen in erster Linie das Wohl der Patienten in den Blick nehmen. Ein wichtiger Schritt dafür wird das „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ sein, das vor Kurzem auf Initiative der CDU im Deutschen Bundestag beschlossen wurde und durch das beispielsweise Krankenakten digitalisiert werden sollen. Davon könnten in Hamburg beispielsweise das UKE oder die Asklepios-Kliniken profitieren – wenn der Datenschutz nicht Bremse für Innovation und Fortschritt ist. Als Bundestagsabgeordneter werde ich daher Druck machen, dass wir die Chancen wahrnehmen, die uns digitale, datengetriebene Systeme bieten. Der Datenschutz darf nicht über allem stehen und wichtiger sein als Gesundheit, offene Schulen oder eine intakte Wirtschaft.

Der Gastbeitrag erschien am 15. Mai 2021 im „Hamburger Abendblatt“.