Wie ernst die CDU die Generationengerechtigkeit nimmt, sollte sie auch mit der Wahl ihres neuen Vorsitzenden abbilden.
Wer wird neuer Vorsitzender der CDU, der mit Abstand größten Regierungspartei in Deutschland? Diese Frage ist nicht nur für die 1001 Delegierten des CDU-Parteitags am 15. und 16. Januar wichtig, mit der Entscheidung über den Vorsitzenden sind auch zentrale Weichenstellungen für unser Land verbunden.
Während manche in diesem Zusammenhang über Frauenquoten, die „Anschlussfähigkeit“ der CDU an die Grünen oder genderkonforme Sprache diskutieren, drohen andere Fragen in den Hintergrund zu geraten: Wie sollten unser Sozialstaat und unsere sozialen Sicherungssysteme ausgestaltet werden, damit sie generationenübergreifend finanziert werden können? Wie werden die Lasten zwischen den Generationen gerecht verteilt? Welche Antworten braucht es vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, der sich mit dem Renteneintritt der „Babyboomer“ – der Generation der zwischen 1960 und 1970 Geborenen – in diesem Jahrzehnt dramatisch verschärfen wird?
Der Generationenvertrag unseres Rentensystems sieht vor, dass Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber gemeinsam in die Rentenkasse einzahlen. Sie finanzieren die Rente der Älteren und bekommen später ihre Rente von den nachfolgenden Generationen. Doch das Rentensystem finanziert sich schon lange nicht mehr selbst: Fast jeder dritte Euro im Bundeshaushalt geht an die Rentenkasse – Tendenz steigend. Das waren allein 2020 mehr als 100 Milliarden Euro. Heute finanzieren schon zwei Beitragszahler einen Rentner, Ende des Jahrzehnts hat jeder Arbeitnehmer vermutlich seinen „eigenen“ Rentner.
Für Investitionen bleibt weniger übrig
Noch vor fünfzehn Jahren stimmten nahezu alle politischen Kräfte überein, dass es Reformen brauche. Der frühere SPD-Vorsitzende und Arbeitsminister Franz Müntefering brachte es 2006 auf den Punkt: „Weniger Kinder, später in den Beruf, früher raus, länger leben, länger Rente: Wenn man das nebeneinanderlegt, muss man kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Das kann nicht gehen.“
Solche mathematischen Selbstverständlichkeiten finden immer weniger Beachtung, wie man auch an den Debatten über das Pflegesystem sieht. Die Begrenzung des Eigenanteils und immer mehr Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt mögen kurzfristig populär sein, langfristig verschieben solche Maßnahmen die Lasten auf zukünftige Generationen.
Je mehr Steuergeld in die Rentenkasse oder gesetzliche Pflegeversicherung fließt, desto weniger bleibt für Investitionen in Bildung, Forschung, Digitalisierung oder die Infrastruktur. Allein die in den vergangenen Jahren zusätzlich eingeführte Grundrente, die Rente mit 63 und die Mütterrente kosten nach Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft mit mehr als 16 Milliarden Euro etwa so viel, wie der Bund für alle Verkehrsinvestitionen ausgibt.
Für einen zielgenauen Sozialstaat
Jeder, der hart arbeitet, soll im Alter gut leben können, aber leider gehen auch etliche Milliarden Steuergeld an Personen, die keine zusätzlichen Sozialleistungen benötigen. Ein funktionierendes, solide finanziertes Rentensystem ist unmittelbar mit der Zukunftsfähigkeit unseres Landes verknüpft. Immer mehr Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen und unreflektiert neue Sozialleistungen zu beschließen darf in einem generationengerechten Land keine Option sein.
Umso wichtiger sind Reformen für einen zielgenauen Sozialstaat. Dazu gehört der Mut, die Lebensarbeitszeit an die durchschnittliche Lebenserwartung zu koppeln und von einem festgelegten Rentenalter Abstand zu nehmen. Hier sollte die Politik die Empfehlungen führender Wirtschaftswissenschaftler wie Bernd Raffelhüschen und Axel Börsch-Supan aufgreifen: Wenn die Menschen im Durchschnitt ein Jahr älter werden, sollten sie davon acht Monate länger arbeiten und vier Monate Rente beziehen.
Ein Krankenpfleger, der täglich anstrengende körperliche Arbeit leistet und mit 18 Jahren anfängt zu arbeiten, könnte so eher in Rente gehen als eine Ärztin, die erst mit Ende 20 in den Beruf einsteigt. Ein Dachdecker soll mit 70 nicht mehr harte körperliche Arbeit verrichten müssen, aber gerade Akademiker werden etwas länger arbeiten können. Zudem ist schwere körperliche Arbeit aufgrund des technischen Fortschritts heute weniger verbreitet als früher. Die, die irgendwann nicht mehr wie gewohnt arbeiten können, sollten mit Fortbildungsmaßnahmen unterstützt werden, an den Schreibtisch zu wechseln. Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr arbeiten können, haben schon heute die Möglichkeit, eine Erwerbsminderungsrente von der Solidargemeinschaft zu erhalten.
Früh investieren, anstatt spät zu reparieren, sollte das Motto der CDU sein.
Für die Jahre 2020 und 2021 werden voraussichtlich insgesamt rund 400 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen, um die Corona-Krise zu bewältigen. Künftige Generationen werden diese Schulden irgendwann bezahlen müssen. Die Bundestagsabgeordneten werden daher in den kommenden Bundeshaushalten stärker Prioritäten setzen müssen. Wer Generationengerechtigkeit ernst nimmt, sollte einen zielgenauen Sozialstaat unterstützen, der den Schwachen und Bedürftigen hilft und einen Schwerpunkt auf Investitionen in frühkindliche Bildung legt. Früh investieren, anstatt spät zu reparieren, sollte das Motto der CDU sein.
In vielen Kreisen wird mit Blick auf die immer älter werdende Wählerschaft gescheut, diese Themen voranzutreiben. Ich halte das für falsch, da es den allermeisten Großeltern und Eltern wichtig ist, wie es ihren Enkeln und Kindern in Zukunft ergeht. Friedrich Merz ist derjenige unter den CDU-Kandidaten für den Parteivorsitz, der Generationengerechtigkeit am stärksten in seine politische Agenda integriert hat.
Die CDU als Volkspartei, die für alle Altersgruppen spricht und Interessen bündelt, sollte mit seiner Wahl zum neuen Vorsitzenden das Thema Generationengerechtigkeit personell abbilden und sich auf die Fahne schreiben. Damit würde sie einen sehr wertvollen Dienst an unserem Land und am nachhaltigen Zusammenhalt der Generationen leisten sowie den Grundstein dafür legen, auch in diesem Jahrzehnt die treibende politische Kraft in Deutschland zu sein.
Der Gastbeitrag erschien 07.01.2021 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
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