Wir spüren bei vielen politischen Debatten: Unsere liberal-demokratische Grundordnung wird weltweit, aber auch in Europa und im eigenen Land, so stark herausgefordert wie vielleicht noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch bei grundsätzlich pro-europäisch eingestellten Menschen finden wir Kritik an der Europäischen Union (EU) und Zweifel, ob das derzeitige europäische Konstrukt die aktuellen Herausforderungen bewältigen kann. Autoritäre politische Ansätze versprechen schnelle Lösungen für komplexe Probleme und üben einen größeren Reiz auf die Menschen aus, als dies noch vor einigen Jahren denkbar schien.

Nationalismus, staatlicher Egoismus und autoritäre politische Elemente stellen für uns keine sinnvolle Alternative dar. Vielmehr lehrt uns die Geschichte, dass sie den Frieden und Wohlstand gefährden und keinen Beitrag zur Lösung politischer Probleme zu leisten imstande sind.

Für uns als CDU ist klar, dass die großen, weltpolitischen Herausforderungen unserer Zeit nur mit einem starken Europa zu meistern sind. Dies setzt eine Weiterentwicklung Europas voraus. Gleichzeitig bekennen wir uns vor dem Hintergrund, dass sich viele europäische Bürger mit ihrem eigenen Land identifizieren und sie nach wie vor Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Nationalstaaten haben und einen europäischen Zentralstaat mehrheitlich ablehnen, zum Erhalt der Nationalstaaten und zum Subsidiaritätsprinzip, das auf der Leistungsfähigkeit und Lösungskompetenz der Nationalstaaten beruht. Aufgaben, die bei den Kommunen, Bundesländern oder Mitgliedstaaten besser aufgehoben sind, sollten auch in deren Zuständigkeit bleiben.

 

Vor diesem Hintergrund gilt es daher, die Erfolgsgeschichte Europa neu zu schreiben, Europa zu stärken und gleichzeitig das Verhältnis der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten neu auszutarieren. Der nächste Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) der EU, der „EU-Haushalt“, bietet die Chance, neue Weichenstellungen vorzunehmen, Schwerpunkte zu definieren und die Europäische Union zukunftsfähig zu machen.

Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik

Gerade im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollten wir stärker in Europa zusammenarbeiten und die Bereitschaft zeigen, nationalstaatliche Souveränitätsrechte an europäische Institutionen abzugeben. Jeder einzelne europäische Staat ist alleine zu klein, um bei den wichtigen weltpolitischen Fragen eine tragende Rolle zu spielen. Beim Syrien-Konflikt, bei Flüchtlingsbewegungen oder den aktuellen Handelsfragen – nur gemeinsam werden wir Europäer hier erfolgreich sein!

Wenn wir uns in der Welt umschauen, dann können wir feststellen, dass China und Indien als Einzelstaaten – gemessen an der Bevölkerungszahl – heute schon deutlich größer als die EU sind. Länder wie Indonesien und Brasilien wachsen in den nächsten Jahrzehnten rasant. Nigeria wird im Jahr 2060 laut Prognosen mehr Einwohner als die EU haben. Momentan stellen wir EU-Bürger noch sieben Prozent der Weltbevölkerung. Bis 2060 sinkt unser Anteil auf dann fünf Prozent.

Sicherheitspolitisch sind die ständige strukturierte Zusammenarbeit „PESCO“ (Permanent Structured Cooperation) und die Errichtung einer Europäischen Verteidigungsunion ein wichtiger Ansatz. Wir dürfen jedoch nicht dabei stehenbleiben, sondern sollten langfristig eine Art europäische Verteidigungsarmee und ein gemeinsames Zentrum für Cybersicherheit etablieren. Eine solche Streitkraft ist wichtig, damit Europa außen- und verteidigungspolitisch eine starke Säule in der Weltpolitik darstellt und seinen eigenständigen Beitrag zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung von Frieden und Recht in der Welt leisten kann. Auf Dauer sparen die Nationalstaaten durch die Einführung einer solchen Armee auch Kosten, die sie beispielsweise in Bildung, die Infrastruktur oder Polizei stecken können. Einen weiteren Schritt nach der PESCO-Initiative können wir hier unternehmen, indem wir die laufenden Militäreinsätze der EU nicht mehr über die nationalen Haushalte finanzieren, sondern über einen gemeinsamen „EU-Haushalt“. Auf diese Weise würde Europa auch bei der Finanzierung der NATO mit einer Stimme sprechen.

Wir sind auch offen für die Einrichtung eines europäischen Außenministers, der deutlich mehr Kompetenzen als der „Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ hat.

Wir brauchen die EU auch für die Sicherung der europäischen Außengrenzen, die Steuerung der Migration und die Bekämpfung von Terrorismus. Für jeden europäischen Nationalstaat ist es am Ende teurer und ineffizienter, diese Aufgaben alleine zu bewältigen. Wenn wir bei diesen Themen im Zuge des nächsten „EU-Haushalts“ gezielt investieren, dann wird nicht nur Europa, sondern dann werden insbesondere wir Deutsche davon profitieren.

Daher muss die Aufstockung der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX beim anstehenden MFR eine sehr hohe Priorität genießen. Mit den neuen Impulsen bei der Sicherung der EU-Außengrenzen und in der Entwicklungspolitik wird dann auch die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik weiter gestärkt. Es müssen auch einheitliche Standards bei Asylverfahren, eine gemeinsame Rückführungspolitik, Maßnahmen zur Kontrolle und Schließung von Migrationsrouten sowie Reformen des Schengener Informationssystems und des Schengener Grenzkodex entwickelt werden.

In der Entwicklungspolitik können wir als Europäische Union einen „Marshallplan mit Afrika“ auflegen und insgesamt neue Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung in Afrika setzen. Dabei sind insbesondere auch Handelsbarrieren zwischen der EU und Afrika sowie verzerrende EU-Subventionen zu hinterfragen.

Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik

Im Rahmen des „EU-Haushalts“ müssen auch neue Impulse in der Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik gesetzt werden.

 

In der Wirtschaftspolitik brauchen wir eine europäische Zusammenarbeit bei den Querschnittstechnologien „Künstliche Intelligenz“ und „Blockchain“, die bereits heute immer mehr Lebensbereiche umfassen. Auch brauchen wir mehr europäische Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Produktion von Batteriezellen der neuesten Generation zum Ausbau der Elektromobilität. Vor dem Hintergrund eines Technologiewettlaufs um die Vorherrschaft im Bereich der künstlichen Intelligenz zwischen den USA und China werden wir die notwendigen Investitionen hierfür nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern aufwenden können. Nur durch gemeinsames Agieren auf europäischer Ebene lassen sich Synergien erzeugen, um bei disruptiven Innovationen Weltmarktführer zu werden und Abhängigkeiten abzubauen.

 

Ähnliches gilt auch für die Wissenschaftspolitik. Warum schaffen wir nicht europäische Universitäten, die wir gemeinsam durch alle Mitgliedstaaten finanzieren und die wir dadurch in die Lage versetzen, mit Spitzenuniversitäten in der Welt mitzuhalten? So können wir die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Europa und die Anziehungskraft auf Studenten und Wissenschaftler aus aller Welt erhöhen. Forschung und Entwicklung sind die Voraussetzung für die Sicherung der Wirtschaftskraft in der EU.

 

Jugendpolitische Initiativen wie Erasmus Plus unterstützen wir ebenfalls: Sie sind einmalig in der Welt und nur durch die Zusammenarbeit der EU-Staaten möglich. Wir begrüßen den Ausbau von kostenlosen Interrail-Tickets für Jugendliche, um bei der jungen Generation Begeisterung für Europa zu wecken.

Neue Ansätze beim „EU-Haushalt“

Die EU braucht in diesem Sinne neue Impulse und Initiativen. Im Rahmen des nächsten „EU-Haushalts“ geht es darum, die vorstehend genannten Bereiche finanziell und institutionell zu stärken. Aber wir sollten nicht alle politischen Bereiche europäisieren, sondern nur diejenigen, bei denen ein Mehrwert entsteht: ein Mehr an Sicherheit, ein Mehr an Wirtschaftskraft oder ein Mehr an Mobilität. Entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip sollten daher die Aufgaben, die bei den Kommunen, Ländern oder Nationalstaaten besser aufgehoben sind, auch in deren Zuständigkeit verbleiben. Deswegen ist es für uns kein Selbstzweck oder Automatismus, der EU mehr Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Europäische Strukturmittel sollen nur für Projekte ausgegeben werden, die die europäische Wirtschaft stärken und die o.g. politischen Maßnahmen unterstützen.

 

Vor diesem Hintergrund wollen wir genau schauen, wo man beim MFR auch Einsparungen vornehmen kann, um die EU sparsamer und effizienter zu machen. Hierzu zählt auch die Überarbeitung der Subventionsausgaben. Die Konzentration und Straffung von Zuständigkeiten ermöglicht eine effiziente Umsetzung von Maßnahmen; gleichzeitig erfährt eine effizientere und kostenbewusstere EU mehr Akzeptanz bei den Bürgern.

 

Wer Akzeptanz bei den Bürgern erfahren möchte, muss sich auch an selbstgesetzte Regeln halten. Mit Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion haben die beteiligten Regierungen den europäischen Bürgern das Versprechen gegeben, Stabilitätskriterien einzuhalten sowie die öffentliche Verschuldung zu begrenzen. Damit sollte eine Transferunion verhindert werden. Gegen diese Vereinbarungen ist mehrfach von nahezu allen europäischen Mitgliedstaaten verstoßen worden. Das hat dem Projekt „Europa“ Zuspruch und Glaubwürdigkeit gekostet. Daher fordern wir, dass diese Kriterien in Zukunft eingehalten werden und die Mitgliedstaaten notwendige Reformen konsequent durchführen. Auf europäischer Ebene brauchen wir eine Institution, die über die Einhaltung der vereinbarten Stabilitätsregeln wacht und diese auch umsetzen kann. Sinnvoll ist auch eine Insolvenzordnung für europäische Staaten, um ein geregeltes Verfahren etablieren zu können. Eine Transferunion, wie von linken Parteien gefordert, lehnen wir ab. Sie würde die Axt an das europäische Fundament legen.

 

 

Wir als CDU sind nach wie vor davon überzeugt: Europa ist nicht das Problem, Europa ist die Lösung. Bewährtes müssen wir bewahren und weiterentwickeln, notwendige Reformen müssen wir angehen, um Europa und die EU zukunftsfähig zu machen.